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Gegen die Auslöschung
Auf einer Bildungsreise im westlichen Polen in 2022 besuchte der Vorsitzende des Fördervereins der Synagoge Vöhl e.V., Karl-Heinz Stadtler, das Städtchen Dobra. Dort führte ihn der örtliche Schulleiter auf einen jüdischen Friedhof, der von den Nazis völlig eingeebnet worden war - kein einziger Grabstein stand mehr dort. Unter Federführung jener örtlichen Schule waren die Namen, Geburt- und Sterbedaten der dort bestatteten Juden ermittelt und auf einer Gerdenktafel gefasst worden: Anstelle der Grabsteine erinnerte nun diese Tafel an die Bestatteten.
Mit dem Gedanken, dass auf dem jüdischen Friedhof in Vöhl ebenso eine Einebnung stattgefunden hatte, wollte Karl-Heinz Stadtler in ähnlicher Weise dagegen angehen und erinnern.
Leerstellen mit Vorhandenem vereinen
In Vöhl stellte sich die Situation so dar:
In 1941 wurde auf Befehl des Regierungspräsidenten in Kassel der jüdische Friedhof in Vöhl komplett eingeebnet; die Grabsteine und Einfassungen wurden am Ortsausgang gelagert und den Bürgern Vöhls und der Nachbarorte für Baumaßnahmen zur Verfügung gestellt. Bei Kriegsende waren lediglich 46 Grabsteine übrig, die Vöhler Männer auf Weisung amerikanischer Besatzungssoldaten auf den Friedhof zurückgebracht und wieder aufgestellt haben.
Tatsächlich hätten es 160 Grabsteine sein müssen. Die Namen und Daten der verlorenen Grabsteine sollten nun mit den Daten der noch vorhandenen Grabsteine auf einer gemeinsamen Gedenktafel zusammengeführt und in Erinnerung gehalten werden.
"Wir werden nun eine Erinnerungstafel mit den Namen, Geburts- und Sterbedaten der 160 dort bestatteten Jüdinnen und Juden aufstellen. Damit konterkarieren wir die Absicht der Nazis, die Erinnerung an die deutschen Juden für alle Zeit auszulöschen." [Textauszug aus der Einladung zur Einweihung]
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"Erkennen, was fehlt.
Lindern mit dem,
das man nicht wegnehmen kann."
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"Da ist das Bild und da ist die Planung. Ich beginne in der Mitte und arbeite jeweils diesen Enden zu. Am Ende steht der Plan und das Produkt. Geht." |
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Der Anspruch
Objekte für Erinnerungskultur sind sensibel. Sie sollen eine Botschaft vermitteln, in klarer Sprache, direkt ohne Umwege. Starke Präsenz in Schlichtheit.
Christian Schnatz arbeitet hier mit bekannten Materialien. Stahl und Beton sind erprobt. Mit klugem Einsatz steht diese Kombination, auch filigraner Ausführung, massiven Steinmetzarbeiten kaum nach, was die Dauerhaftigkeit angeht.
Übergreifendes Handwerk
Die meisten Projekte von Christian Schnatz wachsen aus dem rasch Dahingeworfenen, meist die ungefähre grafische Idee. Bei diesem Projekt war der Beginn der Erhalt der brenngeschnittenen Stahltafeln, lediglich auf Kontur geschnitten, ohne Befestigungspunkte. Der folgende Prozess pendelt zwischen Probieren, Recherche und Überlegen. Im Zusammenspiel von Skizzen und der Arbeit am Computer entstehen Größenfestlegungen, Aufteilungen und Festpunkte. Beanspruchungen an das Material werden deutlich, ebenso Erfordernisse in der Konstruktion.
Der notwendige Rahmen für die Bearbeitung des Materials wird klar. Das, was vorhanden ist, wird soweit wie soweit möglich genutzt. Neue Anforderungen werden durch Werkzeug und handwerkliche Fertigkeiten ergänzt oder aber neu entwickelt: Umplanung, Umwege und Abkürzungen. So ist das Ergebnis eines Projektes nie nur das Projekt an sich, sondern immer auch eine Erweiterung der Fähigkeiten.
In seiner Feierrede zur Einweihung sagte Karl-Heinz Stadtler: "Christian Schnatz machte zu Beginn rasch eine Skizze und das heutige Ergebnis ist ziemlich genau das."
Genau das ist der Anspruch gewesen, keine Kompromisse, keine Ausreden.
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"Das muss man anfassen und angucken. Oft."
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Sich mit den Händen an etwas heran arbeiten. So, wie man sich einer Sprache mit ihren Vokabeln widmet und mit jeder Erweiterung des Wortschatzes mehr ausdrücken kann, so geht es auch im Gebrauch der Hände und Werkzeug.
Kann ein Schriftsteller andere Gedankenformen denken, wenn er mehr Worte kennt? Ist seine Welt weiter, weil er wie Galilei mit dem Fernrohr anderes sieht und gedanklich von diesem neu erreichten Ort wieder noch weiter blicken kann?
Kann das auch für die Werkzeugschublade des Handwerkers gelten?
Man kann einen Gespür entwickeln, so wie der Kräuterkundler am gewöhnlichen Wegrain Neues entdeckt, der Musiker mit jeder Interpretation eines Stückes neue Facetten, der Koch mit jeder Kompostion neue geschmackliche Obertöne und der Maler mit anderem Pigment neue Farbtiefen, der Politiker in jedem Diskurs andere Ansätze. So gibt es für alles eine Klaviatur, deren Tasten man leichter spielt, wenn man übt und wagt und vom anderen lernt. Jedoch muss man den Gedanken verlassen, dass das Andere andere Menschen sind. Das Andere ist alles außer einem selbst. Dieses Andere erzählt und zeigt, in einem fortwährendem schönen Fluss.
Man muss nur gucken und horchen.
Nachfolgend einige Eindrücke aus dem Herstellungsprozess: |
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Ausschnitt Werkstattprozesse |
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Spiegelglatt in der Refektion.
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